Samstag, 28. Februar 2015

Einer dieser Tage

Szene zum Thema Psyche

Ein ganz normaler Tag, im Prinzip.
Ich hänge gerade vor dem Fernseher ab, Nachrichten oder so, und mein Hund liegt neben mir auf dem Sofa. Den Kopf hat er, wie immer, auf mein Bein gelegt, und sich auf den Rücken gedreht. Die Vorderbeine liegen, leicht eingeknickt, auf seiner Brust. Die Hinterbeine hat er weit von sich gestreckt. Meine Hand liegt auf seinem Hals an der Kehle und krault ihn.

Plötzlich ist es wieder da, dieses Gefühl, als wenn mir der Knochen meines Schädels das Gehirn zu sehr einengt. Durch den Druck, und die dabei entstehende Reibung, fängt meine Stirn an zu kochen.

'ICH' finde immer mehr außerhalb meines Schädels statt.

Der Fernseher läuft, aber keine Ahnung was dort abgeht – getrübter Blick und Watte in den Ohren. Geräusche erreichen das Ohr, aber nicht mehr das Gehirn. Der Raum verdunkelt sich, langsam, fast unmerklich.

"Ich weiß das du da bist", murmle ich mir in den Bart. Ich kenne diesen Zustand, weiß was kommt.

Alles um mich herum verändert sich, wird kalt und abweisend. Die Stimme aus dem Fernseher wird stumm, das Bild hat einen tiefen Blaustich, komische Farben – irreal.
Obwohl ich angestrengt auf den Bildschirm starre, sehe ich im Augenwinkel einen Schatten durch die Küche huschen.

"Kannst ruhig herkommen, ich hab dich gesehen. Was willst du mich aus der Küche beobachten? Komm doch her, und setzt dich zu mir aufs Sofa, wir können doch reden", rede ich auf ihn ein, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.

Keine Reaktion, keine Antwort ... war es doch nur eine Einbildung?

"Ich habe keine Angst vor dir. Ehrlich gesagt ... ich habe sogar schon auf dich gewartet".

Das scheint zu wirken, denn aus der Küche schlurft er gelassen heran, setzt sich neben mich auf die Sofalehne, und starrt auch auf den Fernseher.

Schweigen ... auf beiden Seiten.
Verstohlen schaue ich ihn mir von der Seite an. Er hat sich, im Gegensatz zu mir, überhaupt nicht verändert. Ein vertrautes Gesicht, die typische Körperhaltung. Immer sprungbereit, wie ein gejagtes Wild. Ein Kind noch, vom Aussehen her – so um die acht Jahre alt. Und doch ist auch er schon Jahrzehnte alt.

"Ich kann dir helfen aus dieser Scheiße rauszukommen, aber du musst dafür ein ziemlich großes Opfer bringen", bricht er das Schweigen, ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen.

"Ja ... ich weiß".
Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.

Ich kenne seine Vorlieben und Bedingungen, habe lange Zeit meines Lebens mit ihm zusammen verbracht. Aber ich habe doch nichts mehr, was er von mir haben wollen kann? Ich habe mich schon vor langer Zeit aus der Welt zurückgezogen, lasse keinen Menschen mehr an mich herankommen – geschweige denn in meine Wohnung. Nur wir beide sind hier im Haus, sonst wäre er ja auch nicht rein gekommen.

Ist so eine Macke von ihm ... Unsichtbarkeit!
Keiner kennt ihn. Keiner, jedenfalls keiner der es überlebt hat, hat ihn je gesehen. Außer mir eben. Er vertraut mir genauso blind, wie ich ihm. Er dreht seinen Kopf zu mir, schaut mir grinsend ins Gesicht und deutet mit dem Kopf auf meinen Hund. Sein eiskalter Gesichtsausdruck sagt mir mehr als tausend Worte.

"Tue es, und ich werde dir die Behörden und das andere Pack vom Hals schaffen. Von mir aus kannst du dann auch noch Geld wie Heu haben, endlich wieder unabhängig werden ... nicht mehr betteln müssen".

Ich weiß, dass er ein ’Nein’ nicht akzeptieren wird. Seine Forderung steht im Raum, ich muss jetzt meine Entscheidung treffen. Vorher wird er kein Wort mehr mit mir reden, nicht für mich da sein.

"Nein ... nicht ihn! Das ist alles was ich noch habe, und auf dein Geld da scheiße ich, Geld ist nicht mein Problem".

Schlagartig ist alles wieder normal. Der Fernseher schreit mir ins Ohr, die Sonne scheint grell in das Zimmer, und die Sofalehne neben mir ist leer.

Ich wusste es vorher.
Diesmal konnte ich ihm noch widerstehen, aber wer weiß schon wie lange noch. Er wird wiederkommen, dass ist sicher ... so sicher, wie das Amen in der Kirche. Und es wundert mich nicht. Erstaunt bin ich nur darüber, dass es so lange gedauert hat.

Zeitenwechsel, eine neue Ära steht bevor.
Seine Gegenwart hat es angekündigt. Erst mal werde ich es, wie immer schon, ignorieren. Verdrängen und nicht beachten ... mein Leben einfach versuchen so weiter leben, ohne seine Hilfe. Keine Ahnung wie lange ich es durchstehe, aber die Zeichen stehen mal wieder auf Sturm.

"Warum lasst ihr mich auch nicht endlich einfach in Ruhe. Ist das denn wirklich zuviel verlangt", frage ich laut in den Raum, in dem nur noch mein Hund und ich sind.

Erfahrungsgemäß werden sich die Abstände seiner Besuche schnell verkürzen. Und eines Tages ... oh man, Gnade euch Gott!

"Ich wollte Frieden mit euch", stoße ich wütend hervor, "und Ruhe vor euren scheiß Wertvorstellungen".

Ich habe mich im Laufe der Jahre zum Einsiedler entwickelt ... nur weil ich innerhalb meiner Möglichkeiten 'normal' bleiben wollte. Und ihr maßt euch als Antwort darauf an, mich zum Sklaven zu degradieren.

'Arbeit macht frei' – als oberstes Staatsprinzip?
Gegen jede Vernunft versucht ihr es an mir zu praktizieren. Nur weil ich noch zuviel Stolz besitze, mich nicht offiziell als 'verrückt' einstufen lassen will, und mich erst recht nicht zum Sklaven machen lasse.

Der alte Hass, meine Ohnmacht den Behörden gegenüber, und diese unendliche Einsamkeit... in die ich mich nur zurückgezogen habe, um euch vor 'mir' zu schützen. Das wird euch noch eines Tages bitter aufstoßen, wenn ihr nicht endlich Ruhe gebt.

Ich hoffe nur, dass mein Hund an Altersschwäche stirbt, bevor ich doch noch nachgebe. Die Chancen stehen ganz gut, da er schon fünfzehn Jahre mit mir gemeinsam auf dem Buckel hat, und schon kaum noch den Hintern hochbekommt. Oft dachte ich schon, dass er über Nacht gestorben ist, lag wie tot da... atmete kaum, der zähe Kerl.

Aber wehe, wenn nicht!
Wenn der Damm erst wieder einmal gebrochen ist ...




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