Donnerstag, 5. Mai 2016

VATER[S]TAG

Text zum Thema Vater, menschliche Schwäche

Vorwort:
Dieser Text stammt aus der 'Feder' des 14jährigen Jungen, deshalb die betont lässige Art.
Um wahren Gefühle nicht zuzulassen. Selbstschutz und überlebendswichtig in so einer Umgebung!


Im Kinderheim der AWO:
"Duckie, du sollst sofort reinkommen. Da ist Besuch für dich da", rufend und winkend, kam der kleine Horst ganz aufgeregt auf den Fußballplatz zugelaufen. Völlig aufgelöst stand er vor mir, als wenn der Besuch für ihn gekommen wäre. Mich aber ließ das völlig kalt. Ich wollte keinen Besuch – von niemand. Ich wollte einfach nur meine Ruhe und Fußball spielen. Das mit den Besuchern im Heim war außerdem so eine Sache für sich. Ich hatte nicht vergessen wie es 'Langer' ergangen war.

Ach Gott ja, habe in der Aufregung ganz vergessen welches Jahr wir haben, aber das ist eigentlich unwichtig. Frühherbst 1968 in etwa. Ich schoss also den Ball zu den anderen auf den Platz zurück, und meldete mich vom Spiel ab.

Ein Onkel von mir ist da?
Konnte ja eigentlich sich nur um Onkel Günther handeln. Sonst kannte ich eigentlich keine Onkel. Familientechnisch meine ich ... die 'anderen Onkels' hatte ich schon zur Genüge kennen gelernt, wenn du an die gedacht haben solltest. 


Aber das ist eine andere Geschichte ...

Was will denn der Onkel Günther nur von mir? Den hatte ich doch, vor ewigen Jahren, in G-Stadt das letzte Mal gesehen, als er mit seiner Gaspistole uns das ganze Haus vernebelt hatte. Das war eine Fete. Wie kann man nur so bekloppt sein, und einen Gasballermann in einem geschlossenen Zimmer abfeuern? Man, haben der Alte und Onkel Günther um die Wette geheult. Und die Alte ist total ausgerastet. Na ja, Alkohol ist eben doch nichts was man trinken sollte, und erst recht nicht in Unmengen. Da verliert man leicht mal die Kontrolle.

Ich hatte Onkel Günther na klar gefragt, wie man nur so bescheuert sein kann. Man, da kam aber Leben in den besoffenen Arsch. Durch das ganze Haus hat der mich wutschnaubend gejagt. Der gab nicht auf, so dass ich bis auf den Boden rennen musste, und mich dort in die Dachschräge rein zwängte, wo er, aufgrund seiner Größe, nicht mehr hin kam. "Du hast mir gar nichts zu sagen, und erst recht nicht zu schlagen", schrie ich ihm in meiner Empörung von meinem sicheren Platz aus an. Onkel Günther stand auf der Treppe und keuchte. "Na warte Bursche. Ich kriege dich noch. Du wirst dich noch wundern was ich dir zu sagen haben. Wenn hier überhaupt einer das Recht hat dich zu schlagen - dann ich", brüllte er mich an, drehte sich um und ging wieder runter. Das war sein letzter Auftritt. Ich blieb na klar hier auf dem Boden in meinem Zimmer, so das ich seine Abreise nicht mehr mitbekam. Wie ich dann so auf meinem Bett lag, dachte ich über den Kerl nach.

Viel wusste ich ja nicht über ihn. Ich erinnerte ich mich daran, dass Mutter und ich ihn mal 'besuchen' gefahren waren. In Hamburg.

Ein riesiges Gebäude. Mit Männern in Uniform. Die sagten Mutter, dass ich da nicht mit rein darf und draußen warten muss. So hockte ich dann ewig lange alleine auf einer Holzbank, und wartete darauf das sie wiederkam. Toller Besuch! Hatte aber auch was schönes, denn auf dem Rückweg, an einer Straßenbahn-Haltestelle in Hamburg, lag eine Streichholzschachtel auf der Bank. Ich nahm sie und schüttelte sie, um zu hören ob da noch Streichhölzer drin waren. Kann man ja immer mal brauchen.

Und siehe da, es klimperte. Mutter hatte nichts bemerkt, da sie mit dem Fahrplan beschäftigt war. Also schnell nachgeschaut. 2,15 DM zählte ich. Ha, ich konnte schon viel weiter zählen. Das hatte Vater mir doch beigebracht. Damit wir den Wert des Geldes besser schätzen lernen. Jetzt war ich reich. Schnell ab in die Tasche damit - bevor Mutter etwas mitbekommt. Sonst wäre es weg. Die konnte immer Geld gebrauchen. Und sonst? Stimmt, eine Zeitlang wohnte auch bei uns – der Onkel Günther. Aber das dauerte ja nicht so lange.

Onkel Günther hatte bei Vater in der Fabrik einen Job bekommen, und wollte sich später eine eigene Wohnung suchen. So kam er also erst mal mit seinem Pappkarton in der Hand bei uns an, und bekam das Kinderzimmer. Dafür musste ich dann mit meinem Bruder Gerd in meinem Zimmer auf dem Boden einem Bett schlafen. Platzmangel! Ach ja – in dieser Zeit nahm er mich auch mal mit zu seinen Arbeitskollegen. Die wohnten in einer Bruchbude am Hafen in Glückstadt. Alles 'Kanaken', wie Vater immer zu sagen pflegte. Waren wohl Türken, wenn ich das recht entsinne. Die boten mir so einen

schmierigen klebrigen Kram an. Keine Ahnung was das war, aber ich wollte es nicht haben – ums verrecken nicht, so eklig kam mir das Zeug vor. Die 'Kanaken' waren stinksauer auf mich. Und Onkel Günther erst. Woher sollte ich denn wissen, dass es bei den Türken zur Gastfreundschaft gehört etwas anzubieten. Das sollte 'Türkischer Honig' gewesen sein. Und es war absolut unhöflich etwas abzulehnen als Gast. Komische Sitten. Andere waren immer froh, wenn sie nichts geben mussten! Das mein Onkel Günther bei denen war, um

Geschäfte zu machen, habe ich erst erfahren, nachdem er wieder von uns weg war. (Förderung der Prostitution und Zuhälterei, Hehlerei und schwerer Diebstahl, laut meiner Akte vom Jugendamt) Dafür besuchten wir ihn dann in Hamburg ein zweites Mal. Diesmal in Hamburg Fuhlsbüttel. Ich musste wieder mit – und wieder draußen bleiben! Was war da noch – Onkel Günther? Ach ja – Weihnachten. Das übliche. Tannenbaum, Lieder singen, Gedichte aufsagen, Geschenke auspacken.

Halt – diesmal war etwas anders.
Ein Geschenk von Onkel Günther, das er mir persönlich überreichte. Achtung festhalten – ein Luftgewehr. Ja doch, ein richtiges echtes Luftgewehr – so ein richtig gutes teures. DIANA prangte da eingraviert auf den Lauf. Und eine Frau in einem Betttuch [?] hielt das Gewehr in einer Hand weit über ihren Kopf gestreckt. Und das war für mich? Ja, aber nur an dem Abend. Außerdem wurde ich jetzt, als Waffenbesitzer, dazu verdonnert mit dem Alten in seinen blöden Schützenverein mit zu rennen. Haha, das war aber ein kurzer Auftritt da von mir ...

Aber auch das ist eine andere Geschichte ... So viel also zu Onkel Günther. Mehr fiel mir dazu beim besten Willen nicht ein. Und der steht mir jetzt gegenüber. Groß, schlank und braungebrannt, mit seiner dummen Sonnenbrille im Gesicht. In einem Zimmer mit Sonnenbrille – muss man da noch mehr über einen Menschen sagen? "Hallo Jürgen, ich habe mich so darauf gefreut dich zu sehen. Wenn ich gekonnte hätte, wäre ich schon viel früher gekommen, aber du weißt ja – Geschäfte".

Schweigen. Er nimmt die Brille ab und mustert mich. 'Ist wohl doch zu dunkel so – du Trottel', denke ich. "Freust du dich gar nicht mich zu sehen? Ach - ich verstehe schon. Ist wohl zu überraschend für dich!". Er dreht sich zu dem Erzieher um und fragt: "Kann ich mit dem Jungen alleine sein und in die Stadt in die Eisdiele fahren". Kein Problem einen Jungen von hier mitzunehmen. Hätte ich ihm auch so sagen können. Man gut, dass er wirklich mein Onkel ist.

Sein Gerede ist mir gleich, ich weiß schon gar nicht mehr was ich mit dem ganzen belanglosen Scheiß anfangen soll - den die Leute so sagen, weil sie der Meinung sind etwas sagen zu müssen. Ich glaube 'Small Talk' oder so nennen die Leute das. Ich bin da anders, Reden um des Redens willen ist meine Sache nicht. Wenn es nach mir geht, sollte man nur Reden, wenn man auch was zu sagen hat. Inhaltlich meine ich – nicht autoritär! An der Strasse geht er auf einen schicken Opel Admiral zu, und klimpert dabei ganz stolz mit dem Schlüssel in der Hand. Itzehoe Kennzeichen. 'Na, dann ist er also wieder zurück in der Stadt.

Der Wagen sieht nicht gerade billig aus und ist sehr gut gepflegt', meine Gedanken dabei. 'Muss wohl doch viel Geld mit Zuhälterei zu machen sein!'. Uh, welch böse Gedanken. Aber doch nicht dein Onkel. War doch alles nur ein Justizirrtum. Schon vergessen? Fünf Jahre Zuchthaus, aber na klar unschuldig. Konnte mich schwach daran erinnern das mal aufgeschnappt zu haben, als Nachbarn Vater auf den Verbleib von Onkel Günther angesprochen hatten.

Nun fahren wir schon die dritte Runde durch die Strasse, nur weil direkt vor der Eisdiele kein Parkplatz frei ist. Anstatt irgendwo anders zu parken und die paar Schritte zu laufen. Irgendwie sind alle Erwachsene bescheuert. "Was bringt dir das denn, wenn die Leute sehen das mit diesem Schlitten vorfährst. Dich kennt hier doch keine Sau. Park doch einfach da vorne – da ist doch ein Platz frei". Geil ... den Blick hättest du sehen müssen. Wüsste nur zu gerne ob er so erstaunt darüber war, dass ich doch reden konnte, oder über das Gesagte.

Jedenfalls parkte er jetzt da ein, und wir gingen die paar Schritte zur Eisdiele zu Fuß. Ich weiß, jetzt hier auf dem Papier sieht das alles sehr schweigsam aus. Stimmt aber nicht – er laberte mir die ganze Zeit die Taschen voll, nur eben Bla, Bla. Wer will so was lesen? Du? Na also! Aber jetzt wird es langsam interessant – also aufgepasst! "... und der Punkt ist, dass ich jetzt ein Schreiben vom Jugendamt bekommen habe – Sag mal, hörst Du mir eigentlich zu?". "Na klar Onkel Günther, die ganze Zeit, du lebst wieder in der Stadt, hast eine

Frau kennen gelernt, du willst Heiraten, willst dich selbständig machen mit einem Schiff – soll ich noch mehr wiederholen", fragend, schaue ich ihn abfällig über meinen Eisbecher an. "Nur ... was hat das mit mir zu tun. Wenn du gekommen bist, um bei mir damit anzugeben wie toll du bist, dann hast du dir leider den Falschen ausgesucht. Das mag ja immer bei den bekloppten Pflegeeltern hingehauen haben, aber etwas mehr Niveau als die habe ich allemal". Oh ja, ich haue gern drauf. Rücksichtnahme ist meine Stärke nicht mehr. Das war mal ...

Warum auch sollte ich mir anhören wie toll es ihm ging. Half mir das irgendwie weiter? Nein! Na also. Was soll der Scheiß dann? Warum falsche Rücksichtnahme, auf mich nimmt auch keiner Rücksicht. "Du könntest ruhig etwas netter sein! Immerhin habe ich mir ja die Mühe gemacht, und bin den weiten Weg hierher gefahren um dich zu sehen", keift er mir entgegen, und versucht mir mit seinem Blick die Fresse zu polieren. "Ist ja schon gut, erzähl ruhig weiter - ich hör dir ja zu", entgegne ich völlig ruhig und gelassen. Menschen sind so leicht zu durchschauen.

Wenn er nichts von mir gewollt hätte, als mich zu besuchen, hätte er mir eine gescheuert und wäre abgehauen. Also, mal sehn was er will! "Na gut - also wo war ich stehen geblieben ... Ach ja, der Brief vom Jugendamt. Also am besten gebe ich dir den mal, dann kannst du den selber lesen". Was geht mich sein Brief von Jugendamt an? Alarm! Da ist was faul ... das kann ich förmlich riechen.
"Warum soll ich den denn lesen? Was gehen mich deine Briefe an", frage ich mich, und auch ihn, laut. Nervös schaue ich auf den Zettel, den er über den Tisch hält. "Nimm schon, dann wirst du ja sehen", drängelt er. Also nehme ich den Zettel damit er Ruhe gibt. Sehr geehrter Herr Mustermann, ... bla bla bla ... ... bla bla bla ... ... bla bla bla ... ... empfehlen wir Ihnen, dem Kind Jürgen Mustermann zu offenbaren, dass sie der Kindsvater sind.

... bla bla bla ... ... bla bla bla ... ... bla bla bla ... In der nächsten Stufe können wir dann einem Wochenende gemeinsam mit Ihrer Verlob ... Stop, noch mal zurück ... Wie war das? ... ... dem Kind Jürgen Mustermann zu offenbaren, dass sie der Kindsvater sind. Hört sich irgendwie komisch an. Breites Grinsen auf der anderen Tischseite. Noch mal:

... dem Kind Jürgen Mustermann - also ich Mhhhhhh, soso, ... sie der Kindsvater sind – ER? Onkel Günther? "Na was sagst du jetzt - freust du dich", fragt der Kerl mit stolzgeschwellter Brust. "Weißt du noch, damals auf dem Boden? Wo ich dir gesagt hatte das du dich noch wundern wirst, was ich dir zu sagen habe. Und wenn überhaupt einer das Recht hat dich zu schlagen - dann ich", sülzt er mich weiter voll, und seiner Stimme nach ist der auch noch stolz auf damals. Na gut, da wo er war hatte er auch viel Zeit sich das schön zu denken.

Dann sitzt mir ja wohl mein Vater gegenüber – aber warum fühle ich denn nichts? Keine Freude, aber auch keine Empörung darüber, dass er das so lange verschwiegen hatte – obwohl er doch eine Zeit lang unter einem Dach mit uns lebte. Ganz ehrlich? Es ist mir scheißegal. Aber was sage ich dem jetzt. So wie der mich anglotzt, erwartet er wohl ein großes Lob. "Und was soll der Scheiß", frage ich ihn leicht hassig, "was willst du jetzt damit erreichen? Soll ich dir um den Hals fallen und Tränen der Freude vergießen?

Merkst Du überhaupt noch was? Womöglich erwartest du jetzt noch das ich dich Papa nenne! Du tickst doch nicht richtig". Wenn er doch wenigstens so viel Anstand gehabt hätte es mir zu sagen. Aber einfach so einen Zettel rüberzureichen und sagen lies mal, ich bin es, Papa! Ob ich wohl jemals in meinem Leben einen halbwegs normalen Erwachsenen kennen lernen würde, oder ist es Voraussetzung bescheuert zu sein, um als Erwachsener zu gelten? Erst mal Schweigen – auf beiden Seiten.

Aber ich bin sicher, dass wir gerade dasselbe gedacht haben – wetten? Er mit stolz geschwellter Brust als frisch gebackener Vater. Und ich mit meiner coolen Reaktion. Damit hat er wohl nicht gerechnet. Aber der Frieden sollte nicht lange halten. Ich hatte ja gelernt das hinter jedem Angebot auch eine Forderung versteckt ist! "Also was soll das? Du bist doch nicht gekommen um unbedingt mein Vater sein zu wollen? Was steckt also hinter dem Scheiß? Irgendwas hast du doch vor", fragte ich wieder ruhig und abwartend meinen Onkel – äh sorry – Vater?

"... bla, bla Heiraten, bla, bla, von meinen Kindern erzählt, bla, bla, will euch kennen lernen, bla, bla, war lange auf See, bla bla, Kapitän ...", quoll es aus ihm heraus. "Stop! – Wie war das? Du bist zur See gefahren und Kapitän? Kann man im Knast zur See fahren? Das ist mir aber ganz neu", zischte ich ihn an. "Ich finde wir fahren jetzt erst mal an den See, da können wir ungestörter reden – Wenn du weißt was ich meine!". Das hörte sich nach einer ganz gewaltigen Räuberpistole an. Er und Kapitän.

Aber vielleicht habe ich ja auch was falsch verstanden. Kann ja sein. Aber besser, wenn keiner zuhören kann! Wer weiß schon was da noch alles kommt. Ja – so war das damals. So habe ich erfahren wer mein Vater ist. Für mich aber unwichtig, da er genauso schnell wieder weg - wie gekommen war. Wir hatten einen Deal. Ich war mit ihm bei seiner Verlobten. Die Witwe eines Reeders auf Männerfang. Deswegen der Kapitän und die Seefahrt. 


Ob er das Geld von ihr bekommen hat? Keine Ahnung, meins hatte ich von ihm bekommen, und ihn nie wiedergesehen! Aber Knast, wegen Heiratsschwindel, davon weiß ich, aus meiner Jugendamts-Akte.


Anmerkung:  

"Nun ja, mittlerweile ist er auch schon seit Jahrzehnten unter der Erde ... 
wie ich mal durch Zufall erfuhr."